Übersichten | Review Articles
Klinische Anästhesie | Clinical Anaesthesia
T. Meuser, A. Ameis, K. A. Lehmann

Haben Patienten mit roten Haaren ein höheres Risiko für Komplikationen in Anästhesie und Schmerztherapie? Eine kritische Auswertung der Literatur

Red-haired patients and risk in anaesthesia and pain medicine – a critical analysis of the literature

Schlüsselwörter Rothaarige, Melanocortin, MC1R, Defektmutation
Keywords Redheadedness, Melanocortin, MC1R, Defect Mutation
Zusammenfassung

Unter Ärzten auf der ganzen Welt herrscht vielfach die Überzeugung, man müsse bei rothaarigen Menschen mit besonderen Komplikationen im Krankheits­verlauf rechnen. Kritische Stimmen ächten derartige Annahmen als Aberglauben, während andere fest auf persönliche Erfahrungen pochen.


Seriöse wissenschaftliche Untersuchun­gen sind bisher selten. Es wird ein Zusammenhang beschrieben zwischen Rothaarigkeit und einer gesteigerten Ängstlichkeit vor Zahnschmerzen und Zahnbehandlungen, ähnliche Berichte wurden auch zur reduzierten Effektivität von Midazolam mitgeteilt. Es gibt ferner einzelne Befunde zur Wirkungsbeeinträchtigung von Inhalationsanästhetika, während für Opioide stärkere Effekte diskutiert wurden. In der vorliegenden Arbeit wird eine relevante Auswahl der derzeit verfügbaren Untersuchungsergebnisse aus der Literatur vorgestellt und hinsichtlich ihrer klinischen Aus­sagekraft kritisch analysiert. Psychologische Untersuchungen legen nahe, dass rothaarige Personen mit Melanocortinrezeptor-Defektmutationen ängstlicher sind als solche mit dunklem Haar. Midazolam scheint bei phänotypisch Rothaarigen im Rahmen einer experimentellen Sedierung etwas schlechter zu wirken als bei Menschen mit blonden oder braunen Haaren. Für Desfluran liegt der mittels elektrischer Hautreizung in experimentellen Narkosen bestimmte MAC-Wert bei rothaarigen Frauen mit Melanocortinrezeptor-Defekt­mutationen um 19% signifikant höher als in der braunhaarigen Kontrollgruppe. Das κ-Opioid Pentazocin wirkt bei experimentellen Hitze- und Ischämie­schmerzen bei rothaarigen Frauen mit Melanocortinrezeptor-Defektmutationen stärker. Auf der Basis einer dürftigen Datenlage sind verallgemeinernde Warnungen vor besonderen Risiken bei rothaarigen Patientinnen nicht haltbar. Dass rot­haarige Patienten, insbesondere rot­haarige Frauen, ein höheres Risiko für Komplikationen in der Anästhesie oder Schmerztherapie aufweisen, kann durch die vorhandene Literatur nicht bestätigt werden. Die aktuelle Datenlage spricht eher dafür, einen Zusammenhang zwi­schen Rothaarigkeit und klinischem Risiko abzulehnen.

Summary Physicians around the world often be­lieve that red-haired people have to expect special complications in their dis­ease. Critical voices reject such assumptions as superstitions, while others firmly insist on their personal experiences. Serious scientific investigations are very rare. A relationship between redheadedness and an increased anxiety about toothache and dental treatment has been described, similar findings were also reported for the reduced effectiveness of midazolam. There are also individual observations of effects induced by inhalation anaesthetics, whereas opioids have been discussed to have greater potency. In the present work, a relevant selection of the currently available research results from the literature is presented and critically analysed with regard to its clinical significance. Psychological studies suggest that red­heads with melanocortin receptor defect mutations are more fearful than dark-haired patients. Midazolam appeared to be slightly less effective in phenotypic red-haired persons in the scope of experimental sedation. For desflurane, the MAC values determined by electrical skin irritation in experimental anaes­thesia were significantly higher by 19% in red-haired women with melanocortin receptor mutations than in the brown-haired control group. In cases of experi­mental heat-induced and ischaemic pain the opioid pentazocine is more potent in red-haired individuals with melanocortin receptor defect mutations. On the basis of this poor data situation, generalised warnings of particular risks in red-haired patients are not tenable. The fact that red-haired patients and red-haired female patients in particular have an increased risk for complications in anaesthesia or pain therapy cannot be confirmed by the available literature. The current data suggest that the relationship between redheadedness and clinical risk should be rejected.
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