Ein 36-jähriger Patient wurde von der orthopädischen Normalstation auf die Intensivstation mit einer Sepsis bei unklarem Fokus zugewiesen. Er war dort bis zu diesem Zeitpunkt ca. 2 Wochen lang wegen einer chronischen Osteitis nach multiplen Knieoperationen mit schließlich Oberschenkelamputation behandelt worden.
Aktuell hatte er sich bei einem anhaltenden Infekt einer Stumpfrevision und der Anlage eines Zentralvenenkatheters unterzogen. Postoperativ entwickelte er auf der Normalstation Fieber, Schüttelfrost und ein Delir. Er erhielt eine antibiotische Therapie und wurde auf die Intensivstation verlegt. Unmittelbar nach der Aufnahme bedurfte es bei progredientem Kreislaufversagen mit schwerer arterieller Hypotension einer ca. 5-minütigen kardiopulmonalen Wiederbelebung. Blutkulturen wurden entnommen, eine an die mikrobiologischen Vorbefunde angepasste breite antiinfektive Therapie wurde begonnen. Mit Hilfe von Echokardiographie und Computertomographie konnte eine Lungenarterienembolie ausgeschlossen werden. Überraschenderweise fand das Pflegepersonal der Normalstation am Folgetag im Spind des Patienten eine in einem Strumpf versteckte, verdächtige 20 ml-Spritze, die mit einer stuhligen Flüssigkeit gefüllt war. Die histologische und mikrobiologische Untersuchung des Inhalts erbrachte Knochenpartikel und multiple Erreger. Unter intensivmedizinischen Maßnahmen konnte der Patient rasch stabilisiert und nach ca. 12 Stunden extubiert werden. Bei der Konfrontation des Patienten mit dem Verdacht auf einen selbst zugefügten Schaden gab er zu, wiederholt die Wunde kontaminiert und die Stuhllösung in den zentralen Venenkatheter unmittelbar vor der Aufnahme auf die Intensivstation injiziert zu haben. Ein hinzugezogener Psychiater diagnostizierte ein Münchhausen-Syndrom. Der Patient unterzog sich freiwillig einer psychiatrischen Behandlung nach Verlegung von der Intensivstation. Wie der Fallbericht zeigt, sollte bei jedem Patienten mit Nichtübereinstimmungen zwischen klinischen Symptomen und Untersuchungsverfahren eine psychiatrische Erkrankung, wie beispielsweise ein Münchhausen-Syndrom, berücksichtigt werden.