Übersichten | Review Articles
Schmerztherapie | Pain Therapy
E. M. Pogatzki-Zahn

Die Bedeutung peripherer und zentraler Sensibilisierungsprozesse für den postoperativen Schmerz

The role of peripheral and central sensitisation in the maintenance and development of postoperative pain

Schlüsselwörter Zentrale Sensibilisierung, Periphere Sensibilisierung, Mechano-insensitive Ad-Fasern, WDR-Neurone, HT-Neurone
Keywords Central Sensitisation, Peripheral Sensitisation, Mechano-insensitive Ad-fibres, WDR Neurons, HT Neurons
Zusammenfassung

Zusammenfassung: Der Entstehung und Unterhaltung des postoperativen Akutschmerzes liegen im Vergleich zum persistierenden Entzündungsschmerz oder dem chronischen neuropathischen Schmerz unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen zugrunde. Aus neuen Untersuchungen in Tiermodellen für den postoperativen Schmerz wird erstmals offensichtlich, dass spezielle Sensibilisierungsprozesse im peripheren und zentralen Nervensystem nach Inzision auftreten und eine besondere Bedeutung für die Therapie postoperativer Schmerzen haben.


Neurophysiologische Untersuchungen in diesen Tiermodellen zeigen, dass periphere Sensibilisierungsprozesse zu spontanem Schmerzverhalten und der Ausprägung von primärer Hyperalgesie beitragen. Spontanaktivität tritt bei C- und A?-Schmerzfasern auf und ist möglicherweise Ursache für den postoperativen Ruheschmerz von Patienten nach einer Operation. Neben der Entwicklung von Spontanaktivität konnte auch eine Veränderung der mechanischen Erregbarkeit von A?- und C-Schmerzfasern in Form einer Erweiterung des rezeptiven Feldes und einer Erniedrigung der Erregungsschwelle nachgewiesen werden. Die Schwellenerniedrigung der A?-Fasern beruhte hauptsächlich auf einer verminderten Zahl mechano-insensitiver A?-Fasern und lässt vermuten, dass mechano-insensitive („stumme“) A?-Fasern nach Inzision in mechanosensitive Schmerzfasern umgewandelt werden. Im Rahmen der Untersuchung von Neuronen im Rückenmark konnte festgestellt werden, dass eine chirurgische Inzision zu einer charakteristischen Sensibilisierung von Wide-Dynamic-Range (WDR)-Neuronen sowie teilweise auch von High-Threshold-(HT)-Neuronen führt. Die Sensibilisierungsprozesse im Rückenmark nach Inzision unterscheiden sich deutlich von Sensibilisierungsprozessen anderer Genese. Hauptsächlich sensibilisierte WDR-Neurone, nicht aber HT-Neurone vermitteln z.B. die reduzierte Reaktionsschwelle auf mechanische Reize. Im Gegensatz zu anderen Schmerzformen entwickelt sich darüber hinaus eine spinale Sensibilisierung nicht unabhängig von der Inzision, sondern ist abhängig von einem kontinuierlichen nozizeptiven Input aus dem Inzisionsgebiet. Die charakteristischen neurochemischen als auch elektrophysiologischen Mechanismen postoperativer Schmerzen machen deutlich, dass Ergebnisse von Modellen entzündlicher und neuropathischer Schmerzen nicht einfach auf die Bedingungen postoperativer Schmerzen übertragen werden können – Schmerz ist eben nicht gleich Schmerz.

Summary Summary: It is important to emphasize that the etiology of incisional pain may be different from that of pain caused by inflammation, formalin injection and nerve injury, and that as a result the responses to treatments may also differ. Therefore, neurophysiological and neurochemical mechanisms of pain caused by incision are currently being explored. Since primary hyperalgesia is caused by afferent nociceptor sensitisation, and secondary hyperalgesia is produced by the sensitisation of central neurons, both peripheral and central sensitisation presumably contribute to post-incisional pain. In support of this, it has been demonstrated that A?- and C-fibres are sensitised (spontaneous activity, enhanced receptive field size) by an incision, and that the conversion of mechanically insensitive “silent” A?-fibres-fibres to mechanically active fibres likely has a role in the maintenance of hyperalgesia after an incision. Furthermore, recording action potentials from dorsal horn neurons shows that wide dynamic range (WDR) neurons and, in part, also high threshold (HT) neurons become sensitised following an incision. However, only WDR neurons are likely to mediate the reduced withdrawal threshold observed in behavioural studies. In contrast to other, more persistent and intense, tissue injuries such as inflammation or nerve injury, sensitisation of dorsal horn neurons is maintained, at least initially by excitation of primary affe-rent fibres (peripheral sensitisation). In conclusion, it is important to recognize that pain caused by different tissue injuries is probably a result of distinct neurochemical and electrophysiological mechanisms. In terms of mechanisms, therefore, postoperative pain as a major clinical problem, must be distinguished from experimental pain models – pain is multifaceted.
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