Zusammenfassung: Die Inzidenz neuropsychologischer Funktionsstö-rungen wird mit bis zu 80% innerhalb der ersten 2 postoperativen Wochen angegeben.Bei bis zu einem Drittel der Patienten persistieren sie länger als einen Monat postoperativ, zählen zu den Komplikationen nach herzchirurgischen Operationen, die die Lebens-qualität der Patienten negativ beeinflussen können.
Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung werden am häufigsten beschrieben. Die Ursachen sind ganz überwiegend im Management der extrakorporalen Zirkulation und in operativen Techniken gesucht wor-den,bislang ohne eindeutiges Ergebnis. In der vorliegenden Arbeit wurden die Auswirkungen zweier unterschiedlicher Allgemeinanästhesiever-fahren auf frühe postoperative Gedächtnisfunktionen bei 52 Patienten im Alter von 50 bis 75 Jahren nach elektiver aortokoronarer Bypassoperation untersucht sowie die Gedächtnisleistung bei 26 Patienten einer nicht kardiochirurgischen Vergleichsgruppe, die sich einem peripheren gefäßchirurgischen Eingriff ohne den Einsatz extrakorporaler Bypassverfahren unterzogen. Die herzchirurgischen Patienten wurden rando-misiert in 2 gleich große Gruppen eingeteilt, die zur Narkoseführung entweder das Inhalationsanästhe-tikum Isofluran oder das Benzodiazepinderivat Mida-zolam jeweils in Kombination mit Fentanyl erhielten. Bei den gefäßchirurgischen Patienten wurde die Narkose mit Isofluran und Fentanyl geführt. In der 1 - 2 Tage präoperativ durchgeführten Evaluation zeigten sich weder hinsichtlich demographischer Parameter, der emotionalen Ausgangssituation, noch hinsichtlich der Aufmerksamkeits- und Konzentra-tionsfähigkeit sowie der verbalen Gedächtnisleistung signifikante Unterschiede zwischen den Patienten-gruppen.Auch in der Selbstbeurteilung ihrer kognitiven Fähigkeiten ergaben sich keine Gruppenunterschiede. Zur differenzierten Beurteilung von Gedäch-tnisprozessen wurde ein in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Psychologie II der Universität Regensburg entwickeltes Gedächtnisexperiment angewandt, das sowohl die explizite und die implizite Gedächtnis-leistung sowie deren retroaktive Interferenzan-fälligkeit prüft. In der statistischen Analyse dieses Experiments ließ sich präoperativ ebenfalls kein signifikanter Haupteffekt des Faktors Gruppenzugehörig-keit nachweisen, sodaß die Ausgangsbedingungen für alle Patienten als vergleichbar anzusehen waren. In der neuropsychologischen Untersuchung am 4. postoperativen Tag wurden alle Patienten erneut nach ihrer momentanen Befindlichkeit und ihrem Angstzustand befragt. Ihre Gedächtnisleistung wurde mit einer Parallelform des Gedächtnisexperiments ge-prüft. Ein Patient aus der "Midazolam"-Gruppe und 2 gefäßchirurgische Patienten konnten an der Nachuntersuchung nicht teilnehmen. Die statistische Auswertung basierte demzufolge auf den an 24 Patienten in jeder Gruppe erhobenen Daten. Ihre augenblickliche Befindlichkeit beurteilten alle Patienten als unverändert gegenüber dem präoperativen Zustand; die Angstwerte der koronarchirurgischen Patienten nahmen geringfügig ab, die gefäßchirurgi-schen Patienten beurteilten ihre momentane Angst als unverändert.Im expliziten freien Erinnern an einzelne Wörter einer zuvor präsentierten kategorisierten Wortliste sank die Leistung aller Patienten postoperativ ab. Die kardiochirurgischen Patienten, die zur Narkoseführung Midazolam erhalten hatten, wiesen dabei im Vergleich mit den koronarchirurgischen Patienten, deren Narkose mit Isofluran geführt worden war, ein signifikant schlechteres Testergebnis auf. Zwischen den herzchirurgischen Patienten, die Isofluran erhalten hatten,und den gefäßchirurgischen Patienten, deren Narkose ebenfalls mit Isofluran aufrechterhalten worden war, ergab sich hingegen kein Unterschied. In der impliziten Gedächtnisleistung zeigten sich keine signifikanten Gruppenunterschiede. Sowohl das explizite als auch das implizite Gedächtnis aller Patienten war von retroaktiven Interferenz-effekten betroffen.Weder in der Dauer der Operation noch in der Dauer der extrakorporalen Zirkulation gab es Unterschiede zwischen den beiden kororarchir-urgischen Gruppen,die "Midazolam"-Patienten konnten allerdings erst signifikant später extubiert werden. Das signifikant schlechtere Ergebnis in der expliziten Erinnerungsleistung der "Midazolam"-Patienten verglichen mit dem der Patienten nach Isoflurannarkose hat gezeigt, daß pharmakologische Unterschiede in der Narkoseführung die Gedächtnisleistung koronar-chirurgischer Patienten in der frühen postoperativen Phase beeinflussen.Eine potenzielle Beeinträchtigung durch Midazolam und/oder eine zerebroprotektive Wirkung von Isofluran unter den Bedingungen der extrakorporalen Zirkulation kann diskutiert werden. Da auch die gefäßchirurgischen Patienten nach vergleichbarer Narkoseführung wie die koronarchirurgi-schen "Isofluran"-Patienten von Funktionseinbußen betroffen waren, tragen offensichtlich nicht nur spezifisch bei herzchirurgischen Operationen wirksam werdende Faktoren, insbesondere der Einfluß der extra-korporalen Zirkulation, zu postoperativen kognitiven Funktionsdefiziten bei. 2 Monate postoperativ wurden alle Patienten noch einmal um eine Selbstbeurteilung ihrer kognitiven Fähigkeiten gebeten.Etwa 90% der Patienten antworteten. Zwischen den Gruppen fand sich kein Unterschied, jedoch hatten die Patienten in ihrer Selbsteinschätzung das präoperative Niveau ihrer kognitiven Fähigkeiten noch nicht wieder erreicht.